Die klassische Architektur kehrt nach Kopenhagen zurück

Eigenwillige Gebäude im Stadtbild gehören der Vergangenheit an. Wenn sich in einem der Neubaugebiete entlang der Kopenhagener Hafenfront neue Bauten in die Höhe recken, soll ihre Architektur zur Bebauung des Umfelds passen. Und das Ziel der dänischen Hauptstadt, bis 2025 CO2-neutral zu werden, trägt dazu bei, dass Nachhaltigkeitszertifizierungen bei Neubauten zum Standard werden.

Lesen Sie unsere Interviews mit der leitenden Architektin Rita Justesen von der Stadtentwicklungsgesellschaft By & Havn und mit Henrik Stener Pedersen von Rambøll.

Kopenhagen ist eine Stadt in ständiger Veränderung. Neue Gebäude mischen sich ins Stadtbild, neue Stadtteile schießen in die Höhe. Hinter der intensiven Bautätigkeit steht eine politische Vision, die eine Stadt von internationalem Rang schaffen will. Sie soll ein attraktiver Ort zum Leben und Arbeiten sein und ein spannendes Besuchsziel. Zugleich verfolgt Kopenhagen ein ehrgeiziges Klimaziel: Bis 2025 will die dänische Hauptstadt CO2-neutral sein.

Rita Justesen ist Leiterin der Abteilung Planung und Architektur bei By & Havn, der Gesellschaft, die eine zentrale Rolle für die Stadtentwicklung in Kopenhagen spielt. Vor allem für die Hafenflächen und den Stadtteil Ørestad – und mit einem starken Augenmerk auf architektonische Qualität.

„Architektur insgesamt ist ein wesentliches Element, wenn man städtische Quartiere schaffen will, die für Menschen jeden Alters mit breit gefächerten Interessen etwas zu bieten haben. Die Gebäudearchitektur im engeren Sinne – also der ästhetische Ausdruck und die Formensprache von Bauwerken – hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in Kopenhagen mehrfach stark verändert“, erklärt Rita Justesen und nennt ein Beispiel:

„Seit der letzten Finanzkrise ist die Gebäudearchitektur von einer klassischen Formensprache und eher historisch verankerten Dimensionen geprägt. Die Gebäude werden stärker in den Kontext eingepasst, in dem sie errichtet werden, sie sollen weniger durch Individualität und Eigenart hervorstechen. Mit anderen Worten liegt der Fokus mehr darauf, eine Stadt zu bauen als einzelne Gebäude zu bauen.“

DGNB als Standard

Die Stadt Kopenhagen hat sich das Ziel gesetzt, bis 2025 CO2-neutral zu sein. Die neuen Stadtquartiere, die By & Havn entwickelt, sollen dazu beitragen, diese Ambition voranzubringen. Deshalb ist Nachhaltigkeit heute der alles entscheidende Faktor im Stadtteil Nordhavn, dem alten Industrie-, Handels- und Zollfreihafen Kopenhagens. By & Havn bezeichnet ihn bereits als den nachhaltigen Stadtteil der Zukunft.

In Nordhavn gibt es beispielsweise mehrere Brücken, die Radfahrern und Fußgängern vorbehalten sind. Es gibt Freigelände, die vor Wind geschützt sind und von Sonnenstrahlen durchflutet werden. Die Abstände zum Einkaufen, zum Nahverkehr, zu Entfaltung, Erholung und anderen Alltagsbedürfnissen sind kurz. Hinzu kommen viele ökologische Maßnahmen, wie z. B. geringer Energieverbrauch, saubere Energieversorgung und mehr Nutzung von Recyclingmaterial.

„Sämtliche Stadtquartiere und Gebäude, die in der Regie von By & Havn entstehen, werden DGNB-zertifiziert, damit wir die Wirkung der vielen Maßnahmen messen können. Meiner Meinung nach sollte Nachhaltigkeit die Messlatte für jede Form von Stadtentwicklung und Bautätigkeit sein. Ich glaube, dass wir schon in wenigen Jahren aufhören werden, über Nachhaltigkeit zu sprechen, ganz einfach weil Nachhaltigkeit zu einem natürlichen Bestandteil aller Hoch- und Tiefbauprojekte werden wird“, meint Rita Justesen.

Kein Gebäude steht für sich allein

Seit den 1980er Jahren bedient sich die Stadt Kopenhagen der Dienste von Rambøll. Aktuell fungiert das Ingenieurunternehmen als einer von mehreren Beratern bei der Entwicklung des Nordhafenareals. Bei Rambøll weiß man, dass nachhaltiges Bauen und zertifizierte Gebäude von größtem Interesse sind. Seit Einführung des DGNB-Systems wird vermehrt über ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit gesprochen. Keiner der drei Faktoren kann für sich alleine stehen.

„No building is an island, wie wir zu sagen pflegen. Denn jedes Stück Architektur ist Teil eines städtebaulichen Kontexts. Wir müssen zum Beispiel bedenken, wie die Nutzer zum Gebäude hin und wieder fort gelangen, wie es ihnen im Gebäude ergeht und welche Bedeutung das Innenraumklima für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden hat. Alle diese Aspekte haben Einfluss darauf, welche Form ein Bau annimmt. Heute gibt es keine Gebäude mehr, die isoliert existieren können“, sagt Henrik Stener Pedersen, Leiter des Geschäftsbereichs Beratung bei Rambøll.

„Zertifizierung und Nachhaltigkeit werden immer wichtiger, wenn es um Stadtentwicklung geht. Sie werden zunehmend zu einem integralen Bestandteil des Bauens und somit zu einem physischen Ausdruck der jeweiligen Arbeitsweise. Ein gutes, nachhaltiges urbanes Leben spielt sich sowohl innerhalb von Gebäuden als auch zwischen ihnen ab.“

Ein Ort zum Leben

Dies alles scheint sich auszuzahlen. Die Einwohnerzahl wächst, und Kopenhagen wurde in internationalen Medien und bei Preisverleihungen mehrfach als liveable city ausgezeichnet – als ein Ort also, an dem die Menschen gern leben. 

Doch was genau macht Kopenhagen so lebenswert?

Henrik Stener Pedersen: „Die blaugrünen Räume in Form von Erholungsflächen wie Parks und die Möglichkeit, im Hafen zu baden. Auch die politischen Visionen und die Lust, die Bürger in die Stadtentwicklung einzubeziehen. Und dann verfügt Kopenhagen über die technischen Lösungen, die das Wohnen und Leben vieler Menschen in der Stadt ermöglichen: Heizung, Stromversorgung und Abfallentsorgung auf klimafreundliche Weise. Hier ist Kopenhagen eine echte Vorreiterstadt.“

Rita Justesen: „Die Fahrradkultur wird immer wieder genannt. Aber ich glaube, es ist auch die Art, wie wir auf unsere Stadt aufpassen und wie wir die Stadt und ihre Räume aktiv nutzen. Ein besonderes Kennzeichen für Kopenhagen ist auch die dänische Tradition für gut durchdachtes Design und ehrliche Architektur. Die hiesige Architektur verleiht dem urbanen Leben einen schönen und sehr sympathischen Rahmen.“

  • Der Kopenhagener Stadt- und Hafenentwicklungsgesellschaft By & Havn obliegt die Entwicklung der Flächen beiderseits des innerstädtischen Hafens und des Stadtteils Ørestad sowie der Betrieb der Kopenhagener Hafenanlagen.
  • Eigentümer der Gesellschaft sind der dänische Staat und die Stadt Kopenhagen. By & Havn entstand 2007 durch die Fusion des Hafenbetreibers Københavns Havn A/S und eines Geschäftsbereichs der Ørestadsselskabet I/S, der mit der Entwicklung des neu erschlossenen Stadtteils Ørestad befasst war.
  • By & Havn zeichnet verantwortlich für die Stadtentwicklung im Nordhafen, im Südhafen, an der Marmormole und in Ørestad.
  • Rambøll zählt zu den führenden internationalen Ingenieur- und Bauberatungsunternehmen. Die Gesellschaft wurde 1945 in Dänemark gegründet.
  • Heute beschäftigt Rambøll international mehr als 15.000 Mitarbeitende, davon über 3.000 in Dänemark.
  • Zu den Geschäftsfeldern von Rambøll gehören Bau, Verkehr, Stadtentwicklung, Umwelt, Wasser, Energie sowie Management Consulting.

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Rita Justesen,
Leiterin der Abteilung Planung und Architektur bei By & Havn.

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Henrik Stener Pedersen,
Leiter des Geschäftsbereichs Beratung bei Rambøll.