Bekannter Architekt: Eine Zukunft ohne Gebäude und Rohstoffe

Nachhaltiges Bauen erreichen wir nicht, indem wir nur nach ständig effektiveren und optimierten Prozessen suchen. So lautet die Aussage des bekannten niederländischen Architekten Thomas Rau. Er sucht nach einer Transformation, die die Rolle des Menschen auf dem Planeten grundlegend verändert.

Was im Gespräch mit dem niederländischen Architekten Thomas Rau besonders auffällt, ist die Art und Weise, in der er mit der Sprache aufrüttelt. Beispielsweise, wenn er sagt:

„Das größte Missverständnis besteht darin, dass wir glauben, Gebäude bauen zu müssen. In der Zukunft ist das Gebäude das Ergebnis eines Logistikprozesses“, sagt er. Auf gleiche Weise sind Rohstoffe auch keine Rohstoffe, sondern die Kunstwerke der Natur oder Limited Editions (begrenzte Auflagen). Zukünftig müssen wir Gebäude als Depots von Limited Editions betrachten.“

„Unsere Anwesenheit ist vorübergehend und das bedeutet auch, dass unsere Bedürfnisse vorübergehend sind. Wenn wir also eine Lösung für unseren vorübergehenden Bedarf finden – beispielsweise durch die Errichtung eines Hauses – dann ist das eigentlich nur eine Ansammlung von etwas Vorübergehendem“, erklärt er.

Wenn Thomas Rau sich so sehr darum bemüht, die Begriffe im Bau neu zu definieren, liegt das daran, dass er nach einer grundlegenden Veränderung unserer Sicht auf die Welt und unserer Rolle darin sucht.

„Das, was sich wirklich ändern muss, ist unsere Einsicht, dass wir nicht die Gastgeber, sondern Gäste auf Planet Erde sind. Ein Gastgeber benimmt sich ganz anders als ein Gast. Wir müssen unsere Wirtschaft als Gäste organisieren, denn alles wird uns gegeben. Wir sind nicht diejenigen, die es erschaffen“, sagt er.

Nachhaltigkeit führt zu Manipulation

Thomas Rau, der RAU Architects gegründet hat und 2013 zum Architekten des Jahres in den Niederlanden gekürt wurde, scheut sich nicht, das schöne Bild wackeln zu lassen. Er richtet seinen Angriff beispielsweise gegen das am häufigsten verwendete Wort unserer Zeit – „Nachhaltigkeit“.

„Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft werden häufig verwendet, als wären es Synonyme, was sie aber nicht sind. Nachhaltigkeit ist Optimierung innerhalb des bestehenden Systems – wir sollen weniger Materialien und weniger Energie nutzen oder die Verschmutzung reduzieren. Optimierungsprozesse sind aber auch das gleiche, als würde man nichts verändern“, sagt er. Als Beispiel erwähnt er das sogenannte „Dieselgate“, bei dem Volkswagen mithilfe einer Software zu betrügen versuchte, damit die Autos den Emissionsanforderungen der Umweltbehörden gerecht werden.

„Die Jagd nach Optimierung und Verbesserung führt zu Manipulation“, sagt Thomas Rau. 

Der Nachhaltigkeit steht der Kreislaufansatz gegenüber, bei dem man fundamental etwas am System ändert – und hier kommen wir auf Thomas Raus Aussage zurück, dass sich der Mensch als Gast betrachten muss:

„Der Kreislaufansatz ist eine fundamental veränderte Einstellung zum Menschen und all dem, was unser Leben möglich macht. Es ist eine vollkommen neue Tagesordnung im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Mensch und Natur“, sagt er und ergänzt, dass sich dieser Denkansatz in allen Branchen, vom Bausektor bis zur Autobranche, wiederfinden muss.

Gebäude mit Kreislaufpotenzial

In diesem Bereich weist Thomas Rau in eine Zukunft, in der Gebäude nicht mehr Gebäude sind – sondern einfach das Ergebnis eines Logistikprozesses oder ein Depot von „Limited Editions“.

„Wenn wir das Gebäude nicht mehr benötigen, weil unser vorübergehender Bedarf erfüllt ist, können wir es auseinandernehmen und die Materialien wiederverwenden“, erklärt er.

Darin findet sich auch der Grundgedanke der Materialdatenbank Madaster.com wieder, deren Mitgründer Thomas Rau war.

Madaster ist eine Onlinedatenbank mit Baumaterialien und -produkten, die sich an den professionellen Bau richtet. Die Datenbank wird in einer Reihe von Ländern genutzt, hierunter in Dänemark, Deutschland, Norwegen, Finnland, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz, Großbritannien und Australien.

Madaster stellt sogenannte Materialpässe auf der Grundlage der eingegebenen Informationen aus und bietet so zukünftigen Generationen eine Möglichkeit, um das Wiederverwendungspotenzial zu lokalisieren und einzuschätzen, wenn die Gebäude ausgedient haben.

„Wir können nichts für die Zukunft tun, weil wir die Zukunft nicht kennen. Man weiß nie, was Menschen zukünftig mit dem Gebäude tun werden, auch wenn es auseinandergenommen werden kann. Wenn sie die Materialien wegwerfen, dann ist das Kreislaufpotenzial verschwunden. Das einzige, was wir tun können, ist, uns so zu organisieren, dass wir der Zukunft Handlungsmöglichkeiten bieten“, sagt er.

Auch die Produkte von Troldtekt sind – über eine Zusammenarbeit mit Building Material Scout – auf Madaster.com zu finden. So können Nutzer bei laufenden Bauprojekten schnell die entsprechenden Produktdaten zu Troldtekt-Produkten finden.

Verantwortung und Macht am selben Ort

Thomas Rau wünscht sich nicht nur ein System, das dokumentiert, wo die Rohstoffe (oder „Limited Editions“) verwendet werden. Er weist darauf hin, dass der notwendige Wandel nur möglich ist, wenn wir grundlegend die Art und Weise ändern, in der Macht und Verantwortung verteilt sind.

„In unserem bestehenden System sind Macht und Verantwortung getrennt. Einige haben die Macht – diejenigen, die beispielsweise Baumaterialien oder Gebäude produzieren – während andere nach beendeter Lebensdauer die Verantwortung übernehmen müssen. Auf diese Art kann man sagen, dass ein Produkt ein organisiertes Problem ist. Wie können wir also unsere Wirtschaft so einrichten, dass Macht und Verantwortung immer am selben Ort sind?“, fragt er rhetorisch.

Denn die Antwort lautet, dass Macht und Verantwortung am selben Ort sein müssen, damit der Produzent des Produktes auch dafür verantwortlich ist, das Produkt zurückzunehmen und es in einem Kreislaufpotenzial zu nutzen. 

„So ist der Produzent für seine eigenen Entscheidungen verantwortlich. Wenn man also als Produzent ein schlechtes Produkt herstellt, erhält man selbst das Schlechte zurück. Wenn man ein gutes Produkt fertigt, erhält man vielleicht ein Materialdepot zurück, das man auseinandernehmen und auf neue Weise zusammensetzen kann“, sagt er.

Thomas Rau weist auf den Ukraine-Krieg als Wendepunkt hin, in dem uns die Augen für begrenzte Ressourcen geöffnet wurden.

„Wir als Menschen müssen lernen, freiwillig zu handeln. Denn wenn wir es nicht lernen, uns rechtzeitig freiwillig zu verändern, dann müssen wir uns irgendwann unfreiwillig ändern“, sagt er.

Ein Logistikprozess als Bausatz

Thomas Rau und RAU Architects stehen selbst hinter mehreren Projekten, in denen sich die Ideen der Kreislaufwirtschaft entfalten. Eines der Gebäude (oder „Logistikprozesse“ wie Rau sie nennt) ist das Tij Observatory, das in einem sensiblen Naturgebiet an den Schleusen zur Mündung des Haringvliet in den Niederlanden liegt. Das Tij Observatory ist ein Aussichtsturm für Vogelbeobachter, die den Vogelzug der Stare verfolgen möchten.

„Es ist ein sehr sensibles Naturgebiet, in dem sich Menschen nicht aufhalten dürfen. Die Herausforderung bestand also darin, einen Logistikprozess zu entwerfen, der so schonend wie möglich gegenüber der Umwelt war“, erklärt Thomas Rau.

Es entstand daraufhin ein einzigartiger Aussichtsturm aus Holz in der Form eines kolossalen Stareneis:

„Die Stäbe wurden in Helsinki hergestellt. Wir haben eine Firma gefunden, die Holz nach einem 3D-Modell schneiden kann, sodass ein Bausatz aus etwa 400 Stäben entstanden ist, die alle ihre eigene Form haben. Wir haben sozusagen eine IKEA-Montageanleitung mit den Materialien erhalten. Dadurch konnten wir das Gebäude vor Ort ohne große Störung auf dem Erdboden zusammensetzen“, berichtet er. Und das Wichtigste: Das Gebäude hat Kreislaufpotenzial.

„Wir können es auseinandernehmen und an einen anderen Ort transportieren. Das Tij Observatory lässt sich auseinandernehmen und viel häufiger als ein IKEA-Stuhl wieder neu errichten“, sagt er. 

Fakten über Thomas Rau und RAU Architects

  • Thomas Rau (geb. 1960) ist Architekt und Gründer von RAU Architects und Turntoo
  • RAU Architects und Turntoo gehören zu den ersten Unternehmen, die in den Niederlanden das Augenmerk auf Kreislaufwirtschaft richten.
  • Thomas Rau hat außerdem gemeinsam mit der Autorin Sabine Oberhuber das Buch „Material Matters“ herausgegeben, das ihre gemeinsame Philosophie darlegt.
  • Die Ideen im Buch wurden zum Fundament für die Materialdatenbank Madaster.com, die 2017 gegründet wurde.
  • Thomas Rau hält häufig Vorträge – unter anderem bei der Building Green 2022 in Aarhus.

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Thomas Rau, Architekt und Gründer von RAU Architects und Turntoo.