Das Paradox ist klar zu sehen: Während sich die Baubranche um den Begriff der Nachhaltigkeit schart, sind im Hinblick auf die Inhaltsstoffe von Baumaterialien, die Mensch und Umwelt schaden können, keine Fortschritte zu verzeichnen. Im Gegenteil: Die Zahl der chemischen Stoffe in Farben, Klebern, Oberflächenbehandlungen, Baustoffen und vielen anderen Kategorien nimmt zu.
Allein im Jahr 2017 (das ist der neueste Stand der nordischen SPIN-Datenbank) wurden in Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland Baustoffe und Materialien verbaut, die bis zu 112.000 Tonnen an Stoffen enthalten, die in Skandinavien und/oder der EU als schädlich eingestuft sind. Allein in Dänemark betrug diese Zahl im Jahr 2017 rund 19.800 Tonnen – gegenüber 14.200 Tonnen 2012 und 22.500 Tonnen 2016. Die schwankenden Zahlen sind teilweise auf ein verändertes Niveau in der Bautätigkeit zurückzuführen. Doch insgesamt lautet die Bilanz, dass die Materialgesundheit nicht denselben Stellenwert hat wie beispielsweise Lüftung, Akustik oder Tageslichteintrag.
„Einerseits reden in der Baubranche alle vom nachhaltigen Bauen, aber andererseits wissen die wenigsten, was die Baustoffe alles enthalten. Bauherren und Architekten sind keine Chemiker, daher ist generell mehr Transparenz bei den Inhaltsstoffen erforderlich“, sagt die Architektin Martha Lewis, Head of Materials bei Henning Larsen Architects und Gewinnerin des Personenpreises der dänischen Auszeichnung „Det Bæredygtige Element“ (das nachhaltige Element) 2019.
„Baumaterialien, die unerwünschte Stoffe enthalten, lassen sich meist weder in neuen Gebäuden wiederverwenden noch zerkleinern und als Sekundärrohstoff für neue Materialien nutzen“, erklärt Lewis. Deshalb stellt diese Entwicklung die Kreislaufwirtschaft vor ein Problem, sagt sie und zeigt weitere negative Folgen auf:
„Schadstoffhaltige Baumaterialien werden häufig unter Bedingungen produziert, die für die Belegschaft der Produktionsbetriebe problematisch sein können. Auch die Werktätigen auf den Baustellen kommen mit problematischen Stoffen in Kontakt. Zudem treten gerade Schadstoffe häufig vermehrt in Gasform aus und gelangen so in die Luft von Innenräumen, was wiederum die Gesundheit der Gebäudenutzer gefährdet.“